Aktuelle Herausforderungen
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Die aktuell 5 größten Herausforderungen für Führungskräfte

21. Juni 2023

Bei Begegnungen mit Führungskräften, z. B. in Trainings oder in Coachings, werden in der Regel ähnliche Herausforderungen oder Probleme aus dem Führungsalltag thematisiert. Dabei spielen Branchen und Größen der Unternehmen zwar eine Rolle, jedoch keine zentrale. Häufig finden sich große Übereinstimmungen in den Beispielen der Führungskräfte.

Der folgende Beitrag stellt Ihnen fünf große Herausforderungen für Führungskräfte vor, erläutert Hintergründe und gibt Anregungen, wie Führungskräfte mit diesen besonderen Anforderungen umgehen können.

Das Wichtigste zu den größten Herausforderungen in Kürze:
  • Die Fluktuation steigt und Arbeitsplätze müssen kontinuierlich besetzt werden.
  • Führungskräfte wünschen sich mehr Distanz, während die Mitarbeitenden sich danach sehnen die Beziehungsebene zu erweitern.
  • Der Kommunikations- und Koordinationsaufwand steigt durch die ausgeweitete Flexbilität.
  • Die Beantwortung der Frage "Welchen Sinn hat meine Arbeit?" erlangt immer mehr an Bedeutung.

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1. Einarbeitung und Integration als Dauerzustand

Die Herausforderungen für Führungskräfte:

Durch den Fachkräftemangel kommt es zu einer Übersättigung des Arbeitgebermarktes, d. h. Unternehmen und Organisationen konkurrieren um wenige Fachkräfte. Hinzu kommt, dass immer mehr Menschen eine hohe Wechselbereitschaft besitzen, Wandel und Veränderung zunehmend als Chance begreifen. Viele und vielfältige Stationen im Lebenslauf zu haben, ist längst kein Makel mehr. Dies hat zur Folge, dass die Verweildauern in Unternehmen kürzer werden, die Fluktuation steigt und die Arbeitsplätze regelmäßig neu besetzt werden müssen. Als Führungsaufgabe ergibt sich hier nicht nur die inhaltliche Einarbeitung der neuen Mitarbeitenden und die Wissenssicherung, sondern auch die Integration der neuen Kolleginnen und Kollegen in das bestehende Team.

Lösungsansatz für Führungskräfte - Standardisierung:

Onboarding ist Führungsaufgabe! Eine solide Einarbeitung benötigt jedoch eine gute Vorbereitung und Zeit in der Umsetzung. Daher ist Führungskräften zu empfehlen, die Gestaltung von Onboarding-Prozessen möglichst zu standardisieren. Durch die Standardisierung des Vorgehens in der Einarbeitung erhalten Führungskräfte eine Entlastung, da die verschiedenen Aufgaben in der Einarbeitung im Team konkret aufgeteilt werden. Dennoch kann und soll Onboarding nicht delegiert werden! Von Führungskräften wird die persönliche Präsenz im Einarbeitungsprozess erwartet. Ihre Anwesenheit am ersten Arbeitstag, die Zeit für Feedbackgespräche in der ersten Woche oder zum Ende der ersten Monats sind Wertschätzung pur. Dies stärkt die Mitarbeiterbindung und legt den Grundstein für eine tragfähige Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter bzw. Mitarbeiterin.

Perwiss-Tipp: Nutzen Sie den nächsten anstehenden Onboarding-Prozess und dokumentieren Sie die Abläufe und Schritte der Einarbeitung. Halten Sie neben den typischen Schritten, wie z. B. Übergabe persönliche Arbeitsschutzausrüstung oder Einrichtung des PCs auch fest, wie die erste Begegnung mit dem Team gestalten wird. Sie werden staunen, wie viele Bausteine zusammen kommen. Jeden Feedbackgespräch zum Ende der Probezeit können Sie für eine Reflexion und damit zur Ergänzung Ihres Onboardings nutzen.

2. Balanceakt zwischen Nähe und Distanz

Die Herausforderung für Führungskräfte:

Immer mehr Mitarbeitende wünschen sich die Zusammenarbeit mit den Führungskräften auf der Beziehungsebene zu erweitern. Hierbei geht es zum Beispiel darum, Emotionen, Werte und Motive auszutauschen. Dies kann einen positiven Effekt auf die Bindung und die Motivation der Mitarbeitenden haben. Gefördert wird diese Nähe durch flacher werdende Hierarchien und die immer mehr verbreitete „Duz-Kultur“. Der Wunsch vieler Führungskräfte nach mehr Distanz zeigt allerdings, dass dies nicht nur mit Vorteilen einhergeht. Wenn es zu großer Nähe kommt, dann kann dies die Entscheidungsfähigkeit hemmen oder den Ausgang von Entscheidungen beeinflussen. Schnell stehen Vorwürfe der Bevorzugung und Benachteiligung im Raum. Fairness und Gerechtigkeit sind zentrale Werte an denen sich Führungskräfte messen lassen müssen. Fair zu handeln und zu entscheiden, ist eine große Erwartung an Führungskräfte. Insbesondere für neu als Führungskraft eingesetzte Personen ist dies eine große Herausforderung. Der Rollenwechsel vom „Mitarbeiter zur Führungskraft“ ist mit zahlreichen inneren wie Zwischenmenschlichen Konflikten verbunden, z. B. wenn zu den ehemaligen Kollegen freundschaftliche Beziehungen entstanden sind und weiterhin bestehen sollen.

Lösungsansatz für Führungskräfte – Coaching:

Im einem individuellen Coaching kann erarbeitet werden, wie die Führungskraft aktuell die erlebte Nähe bzw. Distanz zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Team einschätzt. Es kann besprochen werden, welche Entscheidungssituationen dadurch betroffen sind und wie es der Führungskraft damit geht. Der aktuelle Standort wird also hinsichtlich Vor- und Nachteile beim Agieren als Führungskraft im Team reflektiert. Mit dem Coach kann eine angestrebte Positionierung als „Wohlfühlbereich“ auf der Dimension „Nähe-Distanz“ beschrieben werden. Danach geht es um konkrete Verhaltensänderungen der Führungskraft, um sich auf den Wohlfühlbereich zuzubewegen.

Perwiss-Tipp: Sofern für Sie ein Rollenwechsel vom Mitarbeiter zur Führungskraft bevorsteht, suchen Sie ganz bewusst vorher das Gespräch mit Ihren ehemaligen Kollegen und Kolleginnen. Tausch Sie sich aus, was sich nun zwischen Ihnen verändern wird, welche Situationen schwierig werden könnten und welche Verhaltensweisen beiden Seite angemessen finden. Viele Führungskräfte, die den Rollenwechsel vollzogen haben, bereuen dieses Gespräch nicht vorher geführt zu haben.

3. Individualisierung als Anspruchshaltung

Die Herausforderung für Führungskräfte:

Individualisierung ist einer der Megatrends unserer Zeit. Dementsprechend gewinnt auch die individuelle Perspektive auf Arbeit immer mehr an Bedeutung. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können es sich aufgrund des Fachkräftemangels leisten, verstärkt individuelle Anforderungen zu stellen, z. B. bezogen auf die Arbeitszeiten, Arbeitsorte oder auch die inhaltlichen Schwerpunkte. Die Arbeitsmarktsituation zwingt viele Unternehmen dazu, diesen individuellen Ansprüchen nachzugeben. Doch was ist die Folge? Führungskräfte stehen vor der Herausforderung, sich immer öfter und intensiver mit den persönlichen Belangen und Anliegen von Beschäftigten zu befassen und für Lösungen sorgen zu müssen. Mitunter berichten Führungskräfte von einer bequemen Haltung einiger Beschäftigter, die zurückgelehnt abwarten, welchen Lösungsvorschlag die Führungskraft präsentieren wird. Es besteht also eine gewissen Gefahr darin, dass sich der vermeintliche Anspruch auf die Berücksichtigung individueller Wünsche und Vorlieben zu Lasten der Führungskräfte auswirkt. Denn diese stehen vor der Herausforderungen, nicht nur einen Mitarbeiter bzw. eine Mitarbeiterin mit individuellen Vorstellungen „glücklich“ zu machen, sondern alle Teammitglieder und das am besten noch abgestimmt aufeinander.

Lösungsansatz für Führungskräfte – Teamentscheidung:

Individuelle Lösungen lassen sich nur dann nachhaltig umsetzen, wenn sie vom Team getragen werden. Daher ist Führungskräften zu empfehlen, alle Teammitglieder in die Entscheidung über individuelle Vorstellungen aktiv einzubeziehen. Hat beispielsweise ein Kollege den Wunsch, im Sommer vier Wochen am Stück Urlaub zu nehmen, können Auswirkungen der langen Abwesenheit und Möglichkeiten der Umsetzung im Team besprochen werden. Nur wenn das Team einer Ausnahme oder Sonderregelung zustimmt und sich eine Lösung für die Urlaubsvertretung finden lässt, stimmt auch die Führungskraft zu. Sollte dem Sonderwunsch entsprochen werden, entgeht die Führungskraft späteren Vorwürfen aus dem Team und muss nicht im Nachhinein für eine Kompensation sorgen, die ja nur unter Mithilfe des Teams möglich ist. Sollte das Team den Sonderwunsch begründet ablehnen, steht nicht nur die Führungskraft als „Buh-Person“ im Raum.

Perwiss-Tipp: Als Führungskraft kommen Sie schneller zu Entscheidungen, wenn Sie nicht darauf hinarbeiten, dass alle der Lösung zustimmen. Fragen Sie stattdessen: Er hat einen begründeten Einwand? Auf diese Weise suchen Sie nicht gemeinsam nach der Ideallösung, die alle zufrieden stellt, sondern nach einer Lösung, mit der geringsten Ablehnung.

4. Routinen trotz Flexibilität

Die Herausforderung für Führungskräfte:

Während „früher“ klar war, dass alle Kollegen und Kolleginnen ab einer bestimmten Zeit im Büro anzutreffen sind, hat zeitlich und örtlich flexibles Arbeiten - auch verstärkt durch Corona - in vielen Branchen an Bedeutung gewonnen. In den Teams haben sich verschiedene Modelle mit festen, wechselnden oder rotierenden Büro- und Home-Office-Tagen etabliert. Dies bedeutet für Führungskräfte ein größerer Kommunikations- und Koordinationsaufwand. Informationen wer, wann wo arbeitet und wie erreicht werden kann, müssen klug aufeinander abgestimmt und allen Teammitgliedern bereit gestellt werden. Insofern hat sich die in vielen Jobs übliche „Präsenz-Routine“ am Arbeitsplatz ausgeschlichen. Führungskräfte haben die Verantwortung, diese Routine durch neue Routinen zu ersetzen, denn erlernte, bewährte und gut geübte Verhaltensmuster entlasten und beugen Missverständnissen im Team vor.

Beispielsweise kann die Nutzung digitaler Tools zur Abstimmung von Aufgaben, Kommunikation von Ab- und Anwesenheitszeiten oder zur gegenseitigen Kontaktaufnahmen eine sinnvolle neue Routine in Teams werden. Sogenannte Collaboration Tools sind zeitlich und örtlich flexibel zugänglich und sind damit zeitgemäß. Die Herausforderung für Führungskräfte besteht jedoch nicht in der Auswahl oder Zugänglichkeit solcher Tools, sondern in deren Einführung im Team. Nicht jedes Teammitglied steht Veränderungen offen gegenüber, das Festhalten an liebgewordenen Abläufen ist oft größer als gedacht. Veränderung will jeder, sich selbst verändern keiner.

Lösungsansatz für Führungskräfte – Mitarbeitergespräche:

Mitarbeitergespräche zählen nach wie vor zu den zentralen Führungsaufgaben. Insbesondere in Zeiten von Wandel und Unsicherheit bieten sie die Chance, Einblicke in die Bedürfnissen einzelner Kolleginnen und Kollegen zu erhalten. Ein Dialog zu Hemmschwellen, Befürchtungen und Sorgen wird in der Regel nur unter vier Augen möglich. Und trotz aller Vorteile digitaler Meetings empfehlen wir Führungskräften, Mitarbeitergespräche von Angesicht zu Angesicht zu führen. Mimik und Gestik signalisieren Führungskräften, wie es der Mitarbeiterin bzw. dem Mitarbeiter wirklich geht. Denn manchmal stimmen gesprochenes Wort und nonverbale Kommunikation nicht überein. Hier gilt es besonderes sensitiv zu sein und sich durch Fragetechniken behutsam vorzutasten. Hat sich der Mitarbeiter ein Herz gefasst und ehrlich gesagt, was ihn bewegt, können gemeinsam Lösungen erarbeitet werden. Insofern sollte eine Routine wirklich Routine bleiben: das persönliche Mitarbeitergespräch.

Perwiss-Tipp: Gesprächsführung ist eine Art „Handwerk“ und dafür braucht es Werkzeuge. Auch wenn viele Techniken der Kommunikation nicht neu sind, bieten Kommunikationstrainings die Möglichkeit, das eigene Gesprächsverhalten zu reflektieren und Werkzeuge in Gesprächen bewusst einzusetzen. Auch eine Auffrischung von bereits bekannten Ansätzen tut regelmäßig gut.

5. Sinnfragen stellen und beantworten

Die Herausforderung für Führungskräfte:

Werte und Ansprüche in Bezug auf Arbeit haben sich geändert bzw. ändern sich, sodass sich insbesondere jüngere Arbeitnehmende vermehrt der Sinnfrage widmen: Was konkret bewirke ich mit meiner Arbeit? Welchen Sinn hat es für mich, hier zu arbeiten? Sicherlich ist die Spanne, was den Anspruch an Arbeit angeht nach wie vor groß und reicht von „Geld für den Lebensunterhalt verdienen“ bis „durch die eigene Leistung die Welt ein Stück verbessern“.

Lösungsansatz für Führungskräfte – Leitbildentwicklung:

Führungskräfte müssen sich aktiv mit Sinn- und Wertefragen auseinandersetzen, um Dialoge in dieser Richtung angemessen führen zu können. Zweck und Hintergrund von Aufgaben wollen verstanden werden, ebenso wie das Engagement des Unternehmens für eine Sache (z. B. Sponsoring), Fragen des Ressourceneinsatzes, der Nachhaltigkeit oder der Gleichstellung. Hier geht es um die Einordnung ins große Ganze. Im Idealfall bestimmt die Führungsebene nicht, welche Unternehmenswerte die gemeinsame Handlungsbasis sind, sondern bezieht die Mitarbeitenden bewusst ein. Weg und Ziel der Leitbildentwicklung sind gleichermaßen wichtig. Auf dem Weg dahin werden z. B. in Workshops Fragen aufgeworfen, die im Arbeitsalltag wohl nie besprochen werden würden: Was treibt dich an zu arbeiten? Worauf kannst du bei der Arbeit keinesfalls verzichten? Der Austausch auf dieser Meta-Ebene stärkt bereits die Arbeitsbeziehungen, klärt gegenseitige Erwartungen und fördert das Verständnis. Ist das Ziel erreicht, d. h. der Prozess zu Leitbildentwicklung abgeschlossen, können Führungskräfte aktiv mit dem Leitbild arbeiten. Dieses beispielsweise in Bewerbungs- und Einstellungsprozessen kommunizieren oder die Umsetzung mit dem eigenen Team in regelmäßigen Abständen reflektieren. Auf diese Weise gibt das Leitbild sowohl Führungskräften, insbesondere neu als Führungskraft eingesetzten Personen, aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Unternehmen Ausrichtung und Sinn.

Perwiss-Tipp: Nehmen Sie sich als Führungskraft die Zeit, sich über die eigenen Werte bewusst zu werden. Ob allein, im Dialog mit anderen Führungskräften oder im Rahmen eines Coachings. In dem Bewusstsein über die eigenen Wertewelt werden Sie besser als zuvor verstehen, weshalb Sie in bestimmten Situationen „aus der Haut fahren“ und in anderen nicht. Nur wenn Sie sich und Ihr Handeln selbst verstehen, können Sie sich auch gegenüber anderen erklären und dadurch für Verständnis sorgen.