Die einzige Konstante im Leben ist Veränderung. Anpassungs- und Veränderungsprozesse betreffen dabei nicht nur das Privatleben, sondern auch arbeitsbezogenen Kontexte. Um diese Lücke der Veränderungen zwischen Arbeitskontext und Person samt Personenmerkmalen zu schließen, wird das Konzept Work-Life Balance erweitert um die Facette des Lernens. Lernen kann dabei als "training on the job" mit direkt tätigkeitsbezogenem Wissens- und Kompetenzuwachs (z.B. Weiterbildung) verstanden werden, aber auch als individuelles Merkmal der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit. Bewarb sich früher der Mitarbeitende bei einem Unternehmen, werden heute vielerorts Recruiter eingesetzt, um den oder die passenden Kandidaten für eine Position zu finden. Das Unternehmen bewirbt sich demnach bei seinen (zukünftigen) Mitarbeitenden. Dabei kann die in der Unternehmenskultur verankerte Work-Life-Learn-Balance ein guter Grund sein, sich für ein Unternehmen zu entscheiden.
Der Prozess des Strukturwandels in der Arbeitswelt mit steigenden Qualitäts-, Flexibilitäts- und Kundenanforderungen führt zu einem Anstieg an Leistungs- und Erfolgsdruck. Er geht aber auch mit größeren Gestaltungsspielräumen in vielen Arbeitsbereichen einher, wodurch die Fähigkeit zur Selbstorganisation immer wichtiger wird. Dieser Veränderungsprozess der Arbeitswelt geht demnach mit der "Subjektivierung" von Arbeit einher. Dies beschreibt die wachsende Vereinnahmung persönlicher Ressourcen für berufliche Zwecke.
Der steigende externe Druck und das subjektive Streben nach Leistung und Erfolg führen tendenziell zu einer Entgrenzung der Bereiche des Lebens und schaffen neuartige Muster der Lebensführung im Bereich Arbeit-Leben-Lernen. Ein anschauliches Beispiel dafür ist der Traumjob vieler junger Menschen: „Influencer“. Die Influencer-Tätigkeit ist ein perfektes Beispiel für eine nahezu gänzliche Verschmelzung der Lebensbereiche Arbeit, Lernen und Privatleben.
Lebenslanges Lernen etabliert sich in der deutschen Gesellschaft mehr und mehr als integraler Bestandteil der Bildung. Dabei kommen Faktoren wie die steigende Digitalisierung, die immer stärker werdende Nutzung von künstlicher Intelligenz in vielfältigen Arbeitsbereichen und wissenschaftlicher Fortschritt genauso zum Tragen, wie personenbezogene Merkmale der Motivation zur Weiterentwicklung, Leistungsmotive und sich im Laufe eines Lebens verändernde soziale Bedingungen eines Menschen. Durch die stetige Weiterentwicklung der Welt ist demzufolge auch der Mensch gezwungen, sich weiterzuentwickeln, um den Anschluss nicht zu verlieren. Insbesondere in der VUCA-Arbeitswelt ist es von großer Bedeutung, sich regelmäßig mit neuen Entwicklungen auseinanderzusetzen, um die eigene Arbeitstätigkeit jetzt und in Zukunft weiterhin erfolgreich ausüben zu können. Arbeitsbezogenes Lernen gewinnt somit mehr und mehr an Bedeutung.
Die Verwendung der Worte Work-Life-Learn-Balance suggeriert eine Trennung der Bereiche, wobei diese in unterschiedlichem Maße ineinanderfließen. Dieser Umstand ist für viele Menschen insbesondere seit der Erweiterung von Home-Office in der Corona-Pandemie erlebbar. Durch die Verlagerung des Arbeitsortes in das eigene Zuhause kommt es zangsläufig zu einer Auflösung der Grenzen zwischen Arbeit und Privatbereich. In dieser Konstellation eine klare Trennung von Arbeitszeit und Freizeit zu schaffen, ist herausfordernd und wirkt sich nahezu direkt auf die Work-Life-Balance aus. Unter diesen Umständen ist es schwer, ein gesundes Verhältnis der Work-Life-Balance zu finden. Wird die Work-Life-Balance noch um die Komponente des Lernens erweitert, wird es noch schwerer, die eigenen Ressourcen zielführend aufzuteilen. Diese Triade soll und muss jedoch keinesfalls ein Bermuda-Dreieck werden. Als wichtigste Faktoren bei der Vereinbarkeit der drei Komponenten gelten Zeitmanagement und Organisation. Nicht zu unterschätzen ist außerdem die Rolle von sozialer Unterstützung, sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich.
Das subjektive Erleben der Vereinbarkeit von Arbeit, Privatleben und beruflicher bzw. persönlicher Weiterentwicklung ist ein entscheidender Einflussfaktor bei der Entstehung von Zufriedenheit oder Unzufriedenheit. Die Arbeitsanforderungen, sowie implizite und explizite Erwartungen, die Arbeit dem Privatleben vorzuziehen, gelten als weitere essenzielle Einflussgrößen auf die Zufriedenheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Praktiziert ein Unternehmen Work-Life-Blending, also eine Verschmelzung von Arbeit und Freizeit, ist dies für viele Beschäftigte ein Grund zur Unzufriedenheit und für potenzielle Bewerber (insbesondere für jüngere Generationen) tendenziell abschreckend. Arbeitgeber sollten demzufolge die Unternehmenskultur im Hinblick auf die Frage der Vereinbarkeit der Arbeit mit anderen Lebensbereichen kritisch überdenken und gegebenenfalls anpassen. Damit kann die Mitarbeiterzufriedenheit gesteigert werden, was sich auch positiv auf andere Aspekte, wie Produktivität und Fehlzeiten auswirken kann.
Das Gleichgewicht dieser drei unterschiedlichen Bereiche des Lebens zu halten, ist ein sich fortwährend in Bewegung befindlicher Prozess. An uns Menschen werden Herausforderungen herangetragen. Nur wenn ausreichend Strategien zum Umgang mit diesen und Ressourcen zur Verfügung stehen, kann das Gleichgewicht gehalten werden und wir bleiben gesund. Ein dauerhaftes Ungleichgewicht führt in der langfristigen Perspektive mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Unzufriedenheit, schlimmstenfalls wirkt es sich aber auch negativ auf das gesundheitliche Wohlbefinden aus. Aus diesem Grund ist wichtig, als Arbeitgeber darauf zu achten, dass Beschäftigten Strategien zum Umgang mit Herausforderungen vermittelt werden. Arbeitgeber sollten nach Möglichkeit außerdem darauf achten, die Ressourcen der Mitarbeiter nicht restlos auszuschöpfen, sondern auch Regeneration zu ermöglichen.
Der Begriff der Work-Life-Learn-Balance identifiziert gleich drei wichtige Lebensbereiche, die Menschen beeinflussen. Diese Betrachtung wird durch den Einbezug des bio-psychosozialen Modells noch konkreter. Arbeit hat einen Einfluss auf alle drei Bereiche, die sich wiederum auf Arbeit auswirken. In die Betrachtung der biologischen Faktoren des Menschen können das (gesundheitliche) Leistungsvermögen, Geschlecht, Alter, sowie neurologische Faktoren einbezogen werden. Im Bereich der sozialen Faktoren können der Status, das Unterstützungsnetzwerk, sowie das Familien- und Arbeitsklima relevant sein. Psychologische Komponenten wie Visionen, Ziele, Persönlichkeitsmerkmale, Denkmuster, Problemlösekompetenz und Führungsqualitäten können ebenfalls als Einflussfaktoren betrachtet werden. Eine lohnenswerte Überlegung zur Work-Life-Learn-Balance, die sich aus diesen Ausführungen ableiten lässt, ist die Darstellung möglicher Entwicklungsinhalte und möglicher Entwicklungshindernisse. So kann eine Optimierung der Rahmenbedingungen und Mobilisation von Ressourcen geplant und umgesetzt werden:
Individuelle Lebensentwürfe fordern individuelle Managementstrategien. Das Boundary Management dient der Vereinbarung von Arbeit, Lernen und Privatleben auf dem Kontinuum zwischen Segmentation (Trennung) und Integration (Zusammenführen). Es betrachtet Anforderungen, Ressourcen, Handlungsstrategien und damit verbundene Folgen für den Mitarbeitenden. Es klärt die Frage nach (notwendiger) Vereinbarkeit und (notwendiger) Abgrenzung einzelner Bereiche. Die Herausforderungen sind Zeitdruck, zunehmende Flexibilisierung und Entgrenzung (z.B. in der Corona Pandemie trifft Home-Office auf Familie). Die räumliche und zeitliche Trennung zwischen Arbeit und Privatleben wird aufgehoben.
Wie Arbeitnehmer ihre Work-Life-Learn-Balance organisieren, ist individuell verschieden. Grundsätzlich können dabei vier verschiedene Typen unterschieden werden.
Arbeit und Lernen verschmelzen und sind vom Privatleben getrennt. Arbeit und Lernen werden dabei als Notwendigkeit zur Lebensführung betrachtet, bei externer Konfrontation mit Lernanforderungen kann dies als Belastung und zeitraubend erlebt werden. Mitarbeitende dieses Typs verfügen oft über eine hohe Kompetenz der sachlichen und inhaltlichen Trennung von Rollen und Arbeitsaufgaben, weshalb es kaum Rollenkonflikte gibt. Die Trennung der Bereiche wird als zentrale Strategie der eigenen Work-Life-Learn-Balance betrachtet.
Berufliches und Privates werden bei diesem Typ bestmöglich getrennt, wobei kleine Überschneidungen stattfinden (z.B. ab und an die Arbeit mit nach Hause nehmen, private Treffen mit Kollegen). Überschneidungen der Bereiche finden insbesondere im Hinblick auf Lernanforderungen statt, was als Idealzustand der persönlichen Work-Life-Learn-Balance betrachtet wird.
Arbeit und Privatleben überschneiden sich stark. Die Überschneidung von Arbeit und Privatleben tritt oft am Beginn der Karriere auf oder wenn die Person erst seit einer kurzen Zeit im Unternehmen tätig ist. Besonders häufig ist dieser Typ bei Singles oder Personen, deren Partnerperson ebenfalls in Vollzeit beschäftigt ist, anzutreffen. Die persönliche Motivation dabei ist, Autonomie- und Handlungsspielräume zu gewinnen. In der Praxis wird diese Herangehensweise oft als konfliktreich erlebt, da die Vereinbarkeit des Trias aus Arbeit, Lernen und Leben zeitlich schwer zu realisieren ist.
Hierbei kommt es zu einer völligen Entgrenzung der Bereiche Arbeit, Lernen und Privatleben. Dieser Typ ist oft bei Personen anzutreffen, die die längste Betriebszugehörigkeit aufweisen und deren Partnerperson oftmals ebenfalls vollzeitbeschäftigt ist. Die individuelle Motivation zur Entgrenzung entsteht durch eine hohe Loyalität und Identifikation mit dem Unternehmen, weshalb diese Form auch häufig bei Selbstständigen zu finden ist.