Wissensbewahrung
Bildnachweis: alphaspirit - stock.adobe.com

Wissensbewahrung im Unternehmen: Investition in die Zukunft

Stellen Sie sich für einen Augenblick vor, jede Menschengeneration müsste das, was die zuvor Dagewesenen erfunden hätten, neu erarbeiten. Nicht von Grund auf, aber zumindest durch langwieriges Reverse-Engineering.
Denn genau das ist es, was in vielen Unternehmen an der Tagesordnung ist. Jede neue Generation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern muss sich dort vieles, was ihre Vorgänger wussten, in langwierigen, zeitraubenden Schritten neu erarbeiten.

Und vieles geht dadurch auch schlicht und ergreifend verloren – etwa dann, wenn ein Mitarbeiter ausscheidet. Wissensbewahrung ist der Schlüssel, das geistige Know-how der Beschäftigten zu sammeln, weiterzugeben und so zu sichern. Es ist ein zentrales Thema für den Unternehmenserfolg, das mit Nachdruck angegangen werden muss.

Das Problem verstehen

Die Unternehmenswelt, ganz gleich, für welches Produkt oder welche Dienstleistung ein Haus auch steht, ist von einer Tatsache gekennzeichnet: Das, was einen Mitarbeiter zu einem wertvollen Baustein für seine Firma macht, was ihn im besten Sinne zu Humankapital werden lässt, umfasst wesentlich mehr als das Wissen darüber, wie er seinen jeweiligen Job zu machen hat. Tatsächlich existieren zwei aufeinander aufbauende Säulen:

  • Die erste Säule ist das, was „frisch ins Haus kommenden“ Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vermittelt wird, um die Arbeitsaufgaben ausüben zu können.
  • Die zweite, weitaus wichtigere Säule ist hingegen das, was diese Fach- und Führungskräfte durch Berufsalltag, Charakter, Erfahrung, persönliche Vorbildung usw. zusätzlich zu diesem Wissen erlernen bzw. mitbringen.

Dialog 400Bildnachweis: auremar - stock.adobe.comUm dies als einfaches Beispiel zu demonstrieren: Eine Büroassistenz kommt neu ins Unternehmen. Sie bekommt eine Liste der wichtigsten Kontaktpersonen, der Passwörter, der Telefonnummern. Man zeigt ihr, was wo im Unternehmensnetzwerk zu finden ist. Damit kann sie ihren Beruf ausüben. Das wäre die erste Säule. Die zweite indes ist das, was sie erst im Alltag erlernt: Wie muss Geschäftspartner A am Telefon „angefasst“ werden? Was sind die Anzeichen dafür, dass ein Vorgesetzter momentan eher schlecht ansprechbar ist?

Dies erscheint triviale. Allerdings sind diese Details oft nicht nur der „Schmierstoff“ für reibungslosen Arbeitsablauf, sondern Triebmotor für den Unternehmenserfolg. Und hinzukommt, dass jeder Mitarbeiter, da er ein Individuum ist, seine Arbeit ein wenig anders ausübt. Selbst wenn zehn Menschen gleiche Zielsetzungen haben, sogar Herangehensweisen vorgeschrieben bekommen, unterscheidet sich ihre Ausführung doch in vielen Punkten voneinander.

Das Problem entsteht daraus, dass in vielen Häusern das einzige gesteuerte Wissensmanagement darin besteht, die erste Säule festzuhalten. Was zur zweiten gehört, wird zum Roulette-Spiel, das davon abhängt, wie gut neue Mitarbeiter von ihren Kollegen eingeführt werden. Doch gerade ob der Wichtigkeit jener zweiten Säule sollte dies niemals dem Zufall überlassen werden.

Das gleiche Wissenslevel sicherstellen

Basis der Wissensbewahrung ist es, sicherzustellen, dass überhaupt alle Mitarbeiter mit den gleichen Daten, die zur ersten Säule gehören, versorgt werden. Dazu gehören mehrere Schritte:

  • Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten Zugang zu grundständigen und Fortbildungsmaßnahmen bekommen. Dabei sollte zur Erhöhung der Teilnahmequote die Möglichkeit genutzt werden, dies über Web-Based-Trainings zu realisieren. Da diese mittlerweile für ein sehr breites Themenspektrum zwischen Elektrik/Elektronik über IT bis hin zu betriebswirtschaftlichen Themen angeboten werden, können hier schnell Lösungen für jede Unternehmenssparte gefunden werden.
  • Es müssen für jeden im Haus vorhandenen Berufszweig klare, für alle einsehbare Richtlinien geschaffen werden, die als Basis dienen und die sicherstellen, dass neue Beschäftigte möglichst auf einem gleichen Grund-Level stehen.
  • Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen motiviert werden, eine Kultur des Lehrens zu praktizieren. Niemand darf den Eindruck haben, dass es in seinem Sinne wäre, Wissen eifersüchtig für sich zu behalten und somit Königswissen zu generieren.

Allerdings sei unterstrichen, dass dies nur die Basis sein kann. Für echte Wissensbewahrung sind größere Anstrengungen nötig.

Der Wissensbewahrer

Und in diesem Sinne sollte eine Angestellte bzw. ein Angestellter zu einer Art Wissensbewahrer gemacht werden. Ob dies zusätzlich zu den eigentlichen Aufgaben geschieht oder hauptberuflich, hängt dabei vor allem von der Unternehmensgröße ab; wenngleich in Häusern ab einer dreistelligen Belegschaftszahl eine Hauptberuflichkeit anzustreben ist.

Ein solcher Wissensbewahrer deckt dabei miteinander verbundene Aufgabengebiete ab:

  • Er sammelt das Wissen beider Säulen an einem zentralen Ort (mehr dazu weiter unten im Text) und sorgt dafür, dass es immer up-to-Date bleibt.
  • Er stellt allen im Unternehmen, insbesondere den Neulingen, diese Informationen zur Verfügung.
  • Er übernimmt in Abstimmung mit der Geschäftsleitung die Fortbildungsmaßnahmen.

Damit wird der Wissensbewahrer zur Schlüsselfigur eines Mentoring-Programms – etwas, das bislang nur in wenigen Unternehmen bereits etabliert wurde und noch seltener als breit angelegtes Werkzeug für die gesamte Belegschaft.

Für Führungsverantwortliche muss unterstrichen werden, dass es sich hierbei um einen enorm verantwortungsvollen Posten handelt, welcher von entscheidender Bedeutung für langfristigen Unternehmenserfolg ist. Nur wenn das Gesamtwissen derer, die eine Firma jetzt zu einem Powerhouse machen, gesammelt und bewahrt wird, sind diese Erfolge auch ohne jene Mitarbeiter haltbar. Klartext: der Wissensbewahrer sollte nicht als untergeordneter Posten, als „Strafarbeit“ angesehen werden, sondern als Erfolgsfaktor, der ebenso kritisch ist, wie eine gute Personalabteilung und sorgsam durchgeplante Bewerbungsgespräche.

Debriefings

Der Wissensbewahrer spielt zudem auch eine große Rolle, wenn Wissensträger und Schlüsselpersonen das Unternehmen verlassen. Einfach ausgedrückt: Kein Know-how-Träger darf das Haus verlassen, ohne dass sein Wissen gesichert wurde. Dabei darf es keine Rolle spielen, was der Grund für das Ausscheiden ist. Die Herausforderungen des demographischen Wandels haben dazu geführt, dass bereits heute ein großer Teil der Belegschaften älter als 50 sind. Diese Personengruppe hat umfangreiches Erfahrungswissen  vorzuweisen. Und das allermeiste davon sind jene kostbaren Erfahrungen der zweiten Säule, welche ohne Wissensbewahrung immer wieder aufs Neue gemacht werden müssten.

Gruppe am Rechner 400Bildnachweis: opolja - stock.adobe.comFür jeden ausscheidenden Mitarbeiter sollte deshalb vom Wissensbewahrer ein (mindestens) eintägiges, mit klaren Vorgaben versehenes Debriefing anberaumt werden. Dabei sollten Projektberichte ebenso übergeben werden wie Korrespondenzen, Präsentationen, Gedankenspiele, „Serviettenzeichnungen“. Ferner sollte das Debriefing auch eine standardisierte Fragerunde enthalten. Darin Details über:

  • Den persönlichen täglichen Arbeitsablauf
  • Dinge, die sich über Trial-and-Error bewährt oder nicht bewährt haben
  • Details zu speziellen Herangehensweisen dieser Person
  • Ehrliche Eindrücke über Haus-Interna, insbesondere Abläufe

Vor allem letzteres sollte sorgsam analysiert werden. Ein ausscheidender Mitarbeiter hat keinen Grund, „durch die Blume zu sprechen“ und negative Details unausgesprochen zu lassen. Was er an positiver wie negativer Kritik zu üben hat, darf als ausnehmend ehrlich angesehen werden und sollte gesammelt sowie mit anderen Mitarbeiter-Aussagen gegengeprüft werden. Häufen sich Auffälligkeiten, sollte nachgeforscht und im Zweifelsfall auch korrigiert werden.

Firmenwiki

Die Digitalisierung hat dazu geführt, dass heute das Unmengen von Wissen an einem zentralen Ort vorhanden ist: zum Beispiel in Wikipedia. Und gerade diese Webseite sollte für Führungsverantwortliche ein leuchtendes Beispiel darstellen. Denn was sie ausmacht, ist absolut deckungsgleich mit der Wissensbewahrung im Unternehmen:

  • Jeder kann sich frei über alle dort zu findenden Themen informieren
  • Jeder kann sich selbst einbringen
  • Moderatoren stellen anhand eines Kriterienkatalogs das Qualitätsmanagement sicher

Tatsächlich sollte dies nicht nur ein gutes Beispiel sein, sondern es sollte zum Nacheifern anregen. Die Möglichkeiten dazu sind ebenso kostenlos und quelloffen verfügbar wie die echte Wikipedia. Jedes Unternehmen kann sich ein eigenes Wiki erstellen, welches nur für die im Betrieb beschäftigten einsehbar ist. Sie zu einem Seitenarm des firmeneigenen Intranets zu machen, ist eine Aufgabe für die IT-Abteilung. Das Firmenwiki jedoch mit Wissen zu füllen, ist Sache aller – und der Wissensbewahrer sollte der Administrator sein, denn das Wiki hilft ihm bei der Ausübung seiner Aufgaben.

Zusammengefasst

Jedem Unternehmen muss daran gelegen sein, das Wissen seiner Beschäftigten zu bewahren. Dazu ist es sowohl notwendig, Standards zu etablieren, wie dafür zu sorgen, dass es einen Knotenpunkt gibt, an dem das Wissen zusammenläuft und sortiert wird. Sicherlich keine leichte Aufgabe, aber viel zu bedeutsam, um ignoriert oder auch nur halbherzig angegangen zu werden.